Lebensfreuden

Zu Mittag bei Monsieur Eiffel

Sonntag 18 August 2019 - 12:54:18
gare_de_l_est1.jpg Ich wippte nervös auf und ab, als ich auf dem Kölner Hauptbahnhof auf Gleis 7 stand und der Zug in den Bahnhof einfuhr.

Da war es wieder, jenes Gefühl wie bei der allerersten längeren Bahnfahrt. Ich war aufgeregt. Paris, dachte ich, eine Verabredung in Paris.
Der Zug hielt, ich stieg in den Wagen 22 und folgte den vorwärts drängenden Mitreisenden. Die rot leuchtenden Ziffern, die sich jeweils rechts und links über den Sitzen befanden, leiteten mich zur Nummer 61. Mein Gepäck glitt in die Ablage und ich sank in das weiche Polster. Ich lehnte den Kopf zurück und beobachtete, wie die anderen Reisenden meinem Beispiel folgten,
ihre Plätze suchten und ihr Gepäck in die Ablagen über den Sitzen hoben. Die junge Frau mir gegenüber lächelte mich an. Sie nahm ihre Tischseite ganz für sich in Anspruch, denn sie kor-rigierte Texte, französische Texte, wie ich mit einem neugierigen Blick feststellte.Vermutlich eine Lehrerin, dachte ich. Der Zug setzte sich in Bewegung und rollte fast unmerklich aus dem Bahnhof. Nicht lange und die Landschaft begann an uns vorbeizufliegen – kleine bunte Wohngegenden, frisch gepflügte Felder, blühende Obstbäume, die markanten Hänge des Rheintals mit ihren Weinbergen. Ich fing an zu träumen. Doch schon der nächste Halt holte mich zurück. Die eben noch leeren Sitze füllten sich. Zwei junge Männer mit Kühltasche und einem größeren Karton, aus dem es verführerisch nach Essen duftete, nahmen neben mir und der Lehrerin Platz. Zwei weitere, offensichtlich zur Gruppe gehörende Burschen setzten sich auf die
andere Seite des Ganges. Einem freundlichen Hallo folgten die Vornamen der Jungs und auch ich gab mit einem Lächeln den meinen preis. Es dauerte auch nicht lange und wir beiden Damen erfuhren, ob wir wollten oder nicht, dass es sich um eine Gruppe von Freunden handelte, die sich dem Anschein nach bereits so manches Wochenende von ihren Frauen frei genommen und mit typischen Herrenausflügen verbracht hatten. Seltsam, wie Männer doch miteinander sprachen und über was für Dinge sie lachen konnten. Belustig folgte ich und teils auch die Lehrerin, sofern ihre Konzentration auf die zu korrigierenden Texte nachließ - den Albernheiten der Männer, die die beiden Frauen immer wieder in ihre Gespräche einzubeziehen versuchten und dabei so manchen mehr oder minder charmanten Vorstoß wagten. Einer versuchte sich als Hüter der Etikette und mahnte seine Kumpel zur Zurückhaltung. Dies schien der geeignete Moment, uns Damen jeweils ein Bier aus der gut gefüllten Kühltasche anzubieten,was jedoch dankend abgelehnt wurde. Ein paar Sitze weiter war der Schaffner aufgetaucht und man hörte ihn nach den Fahrkarten fragen. Dann stand er bei uns und ich hielt ihm lächelnd meinen ausgedruckten Fahrschein hin. Es ertönte der trockene Ton der Knipszange und schon prangte der schmale Stempel auf dem E-Ticket. Als der Schaffner seinen Weg fortgesetzt hatte, öffnete einer der Männer den Karton, appetitanregender Duft nach Gemüse-Quiche entströmte. „Selbstgemacht!“ meinte einer aus der Gruppe. „Seit wann kannst du denn kochen, Jürgen?“ erkundigte sich sein Gegenüber. „Backen, mein Lieber, backen“, tönte es zurück. „Junges Fräulein“, richtete Jürgen das Wort an mich, „greifen Sie ruhig zu, solange sie noch warm ist.“ Der Karton wurde zu mir herübergereicht, damit ich mich sich bediene. Ich konnte nicht widerstehen und nahm ein Stück, während die Lehrerin wieder dankend ablehnte. „Na, schmeckt es?“ „Hat er gut gebacken?“ Ich bedachte die fürsorglichen Fragen mit einem freundlichen Nicken, während ich kaute.


„Ein Bier dazu, vielleicht“, erfolgte dann der zweite Vorstoß. „Nun lass doch die junge Frau mit deinem Bier in Ruhe“, empfahl der junge Mann, den sie Rolf nannten. „Noch ein Stück?“ fragte mich Jürgen. „Es gibt auch Servietten“, ergänzte Rolf. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie ihr selbst gebackenes Erzeugnis nicht wieder mitnehmen wollten.
Rolf wickelte zwei Stücke der Quiche in je eine Serviette und streckte eines der Lehrerin entgegen und eines mir. Dieses Mal ließ sich die Lehrerin erweichen, während ich bescheiden ablehnte. Als dann die fröhliche Männerrunde den Zug am nächsten Bahnhof verließ, befand sich ein guter Teil der Quiche noch im Karton, was aber nichts daran änderte, dass der Abschied gewohnt lustig und unbekümmert ausfiel. Im Abteil war nun die Ruhe wieder eingekehrt. Ich schaute aus dem Fenster und dachte an meine Verabredung in Paris.
Wie lange war es nun doch schon her, dass ich ihn nicht mehr gesehen hatte?! „Ist hier noch frei?“ Eine junge Mutter unterbrach meine Gedanken, doch es war die junge Lehrerin, die der jungen Frau zu verstehen gab, dass noch Platz sei. Das Kind, dessen Name Isabella war, wie sich herausstellen sollte, ließ sich schwungvoll neben mir auf den Sitz fallen und packte eine Tüte mit Hamburger und Pommes frites aus.
Etwas weiter hinten versuchte ein Sporttrainer eine soeben mit ihm zugestiegene Jungengruppe nach dem Plan, den er wohl im Kopf hatte, auf die reservierten Plätze zu verteilen, welches ihm kläglich misslang, weil ihm erstens kaum einer zuhörte und zweitens sich längst neue Gruppierungen gebildet hatten. Plötzlich hüpfte eine Bande Drei- bis Fünfjähriger an unserer Sitzreihe vorbei, die offensichtlich dabei waren, die Langeweile durch körperliche Aktivitäten zu bekämpfen. Den lebhaften Äußerungen zufolge spielte eine Familie einige Abteile weiter ausgelassen Karten.


Gare De L Est

Ich schaute gerade wieder aus dem Fenster, als ich einen leichten Stupser von rechts spürte. „Hast du Lust mit mir zu spielen?“, fragte das kleine Mädchen neben mir. „Isabella, lass bitte die Frau in Ruhe!“, ermahnte die Mutter. „Schon gut“, trug ich zur Entspannung der Situation bei und spielte eine Zeit lang mit Isabella auf deren Handy ein Hüpf- und Fangspiel.
Währenddessen tauchte der Schaffner zum dritten Mal auf, um nach den Tickets der Zugestiegenen zu fragen, und der Mann mit dem Getränkewagen bahnte sich tapfer zum fünften Mal seinen Weg durch den Mittelgang. Isabella verließ den Zug mit ihrer Mutter beim nächsten Halt, nicht ohne mir noch freudig zugewinkt zu haben.
Ich griff nach dem gedruckten Zugbegleiter, der auf dem Tisch am Fenster lag, um herauszufinden, wie lange es noch dauern würde, bis ich in Paris sein würde. Ich freute sich schon auf das Essen im Restaurant des Eiffelturms, welches Julian für den Tag meiner Ankunft in Aussicht gestellt hatte. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick zurück schweifen auf den Platz, auf dem die Lehrerin saß; doch diese musste inzwischen ausgestiegen sein, denn ich schaute in das offene und sympathische Gesicht eines älteren Herrn. „Na, zurück?“, sagte er mit einem Lächeln. „Wie bitte?“ Ich schaute ihn verwundert an. „Sie sahen aus, als wären Sie in Gedanken schon an Ihrem Ziel angekommen“, meinte er leichthin.


Meine Augen hatten vielleicht zu sehr geleuchtet: „So ganz Unrecht haben Sie nicht! Ich bin in Paris verabredet. Wir wollen essen gehen.“
„So, so! Wissen Sie schon, wohin Sie wollen?“ „Man hat mich ins Eiffelturm-Restaurant eingeladen.“ „Da werden Sie neben dem Essen sicher auch den schönen Ausblick genießen.“ „Sie waren schon dort?“ „Ja, vor ein paar Jahren“, nickte er. „Ich treffe mich da mit einem alten Freund, den ich vor Jahren aus den Augen verloren habe.“ Mit einem verlegenen Lachen fügte ich hinzu: „Ich bin mir gar nicht sicher, dass ich Julian überhaupt wiedererkennen werde.“ „Nun, an irgendetwas werden Sie sich doch bestimmt erinnern, auch nach all den Jahren noch, und falls nicht, wird er Sie ganz sicher wiedererkennen!“ „Ja, sein Lächeln.“ Meine Stimme ließ wohl vermuten, wie wichtig mir dieses Lächeln war. „Na sehen Sie, irgendetwas bleibt immer! Und Paris wird Ihnen ganz sicher gefallen. Wir werden bald da sein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.“ „Ich glaube, wir sind gleich da. – Hallo, mein Spätzchen!“ Überrascht suchte ich das Gesicht des älteren Herrn. Doch von dort, wo mir soeben noch dessen gütige Augen in die Erinnerung gekommen waren, strahlte mich nun eben jenes Lächeln an, das mir so viel bedeutete. „Was hast du gesagt, mein Bärchen?“ Ich wirkte vermutlich benommen wie jemand, der aus einer langen Abwesenheit zurückkehrt. „He, Spätzchen, wo bist du in deinen Gedanken gewesen. “Als ich es ihm gerade erklären wollte, kam wie eine Antwort aus dem Zuglautsprecher: „Gare de l’Est“.


Hilda



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