Lebensfreuden

Du hast ja wohl ‘ne Masche...

Sonntag 09 Dezember 2018 - 09:22:12
du_hast_ja_wohl_ne_masche2_2_.jpg Neulich, als ich in der Bahn saß und auf dem Weg nach Hause war, saß mir eine junge Frau, die für die heutige Zeit sehr außergewöhnlich gekleidet war, gegenüber.

Mein erster Gedanke war: Wo steht das Hexenhäuschen, in dem sie wohnt!
Ich muss zugeben, es hat mich fasziniert, diese verschiedenen Schichten von Kleidung, die sie übereinander trug, und das meiste schien selbst genäht und gestrickt zu sein.
Ich konnte erkennen, dass sie zwei Röcke und eine Hose trug, es musste sich ein dünner Pullover unter dem dickeren versteckt haben, das ließen die verschiedenen Armlängen erraten, die bis zum Handrücken reichten.

Einen langen Mantel, der aus gefilzter Wolle bestand, hatte sie auf den Nebensitz gelegt. Eine gestrickte Mütze und Handschuhe hatte sie mitten auf dem Mantel abgelegt. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder auf den selbst gestrickten Schal, den sie noch um den Hals gelegt hatte, schauen musste. Was für schöne Farben, dachte ich.
Als ich aus der Bahn ausstieg, wartete schon mein geliebter Hausbär mit dem Auto auf mich und ich erzählte ihm von der jungen Frau, die wohl die öffentlichen Verkehrsmittel hat nehmen müssen, weil vielleicht der Besen, auf dem sie normalerweise nach Hause fliegt, gerade kaputt ist.
„Du und deine Fantasie“, sagte mein Hausbär, „vielleicht macht sie einfach nur gerne Handarbeiten.“
„Habe ich früher auch gerne gemacht, erinnerst du dich?“
„Und ob ich mich daran erinnere! Würdest du gerne wieder einmal etwas stricken?“, fragte mich mein Bärchen.

Du Hast Ja Wohl Ne Masche 2

„Ja, Lust hätte ich schon, doch ich müsste erst einmal schauen, wo ich mein Handarbeitskästchen mit den ganzen Nadeln habe“, antwortete ich, „und ich wüsste gar nicht, was ich jetzt stricken sollte“, fügte ich hinzu.
Ich war am nächsten Morgen schon recht früh auf. Ich war gerade auf den Dachboden geklettert und durchwühlte einen Karton, als mein Hausbär plötzlich vor mir stand.
„Was macht Du denn da?“, fragte er mich. „Ich suche das Handarbeitskästchen mit den Stricknadeln.“
„Ok, wenn du es gefunden hast, wartet in der Küche ein frisch gebrühter Kaffee auf dich.“ „Dankeschön“, murmelte ich und stand wieder alleine inmitten von Kartons auf dem Dachboden und fand schließlich in Karton Nr. 5 das Kästchen. Glücklich ging ich mit meinen Nadeln in die Küche, wo ein mittlerweile kalter Kaffee auf mich wartete, und ein Zettel vom Hausbären, mit den Worten: Bin eben ins Dorf, Besorgungen machen, mein Spätzchen, Küsschen dein Hausbär.
Es dauerte eine Weile, bis mein Hausbär wieder da war, und ich schaute sehr verdutzt, als ich ihn mit den ganzen Taschen im Arm im Hausflur stehen sah.
„So, mein Spätzchen, ich habe hier etwas für dich, er reichte mir die Taschen, die mit Wolle der verschiedensten Farben gefüllt waren.
Ich nahm sie voller Freude entgegen und sagte: „Ohhh, so viel Wolle.“ Ich hüpfte zu ihm rüber und umarmte mein geliebtes Bärchen. „Danke, danke, dankeschön, mein Schatz, wo bist du denn jetzt gewesen, um die Wolle zu kaufen?“ fragte ich.
„Ich bin im ‚Wollfaden‘ gewesen, und die Verkäuferin hat mich ein bisschen an deine Hexe erinnert, von der du mir erzählt hast. Sie hatte nur selbst gestrickte Sachen an und war sehr hilfsbereit, wie du unschwer an all der Wolle erkennen kannst.“
Die nächsten Wochen verbrachte ich mit Stricken. Wir machten es uns auf dem Sofa gemütlich und mein Hausbär trug es mit Fassung, dass ich ihn zu meinem Strickopfer ernannt hatte! Ich nahm Maß für einen Pullover, nahm Maschen für eine Mütze auf und strickte einen bunten Schal für ihn.

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Ich befand mich im Handarbeitsrausch, bis sich an einem Samstag der Faden des letzten Wollknäuels dem Ende zuneigte!
„Oh, schau mal, der Faden geht zu Ende“, sprach ich mein Bärchen an. „Oh, bedeutet das, dass Du jetzt nichts mehr zum Stricken hast?“, fragte er.
„Ja, im Prinzip schon“, sagte ich, „es sei denn, wir besorgen wieder neue Wolle!“
Mein Bärchen sprang vom Sofa auf, drückte mir einen sanften Kuss auf die Nase. „Du hast ja wohl ‘ne Masche“, sagte er auf dem Weg in die Küche, um frischen Kaffee zu kochen. Als er mit dem dampfenden Kaffee zurückkam, meinte er schmunzelnd: „Nun gut, den nächsten Wolleinkauf tätigen wir zusammen, ich fürchte nämlich, ich brauche unbedingt jemanden, der mir beim Tragen hilft!“

Hilda



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